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Wenn richtig falsch und falsch richtig ist:

 

 

 

Welche Eigenschaften sollte

ein Hochschullehrer haben?

 

Integrität 1

 

 

 

Wenn richtig falsch und falsch richtig ist:

Nachrichten aus einem wissenschaftlichen Anderland

 

 

 

Ludwig J. Cromme

Brandenburgische Technische Universität Cottbus

Platz der Deutschen Einheit 1, 03046 Cottbus

e-mail: cromme@tu-cottbus.de

 

 

 

 

Mathematik und Naturwissenschaften sind auf objektive Erkenntnis ausgerichtet. Zwei Momente sind für den in diesen Disziplinen tätigen Wissenschaftler deshalb unverzichtbar: „Das Vertrautsein mit der wissenschaftlichen Methode und die unbeirrbare Loyalität gegenüber dem wissenschaftlichen Ethos, einem Verhaltenskodex, der ihn auf Erkenntnisgewinn verpflichtet.“2 Darauf beruht das Ansehen des Wissenschaftlers und der Wissenschaft insgesamt in der Öffentlichkeit. Entsprechend hoch scheint aber auch die Versuchung für Einzelne zu sein, dieses Ansehen unter Verletzung der wissenschaftlichen Grundsätze für eigene - wissenschaftsfremde - Zwecke zu nutzen. Derartige Verfehlungen müssen, wenn sie nicht intern bereinigt werden können, letzten Endes von der wissenschaftlichen Öffentlichkeit (Scientific Community) gerichtet werden. Selbst ein Nobelpreisträger kann sich große Schwierigkeiten einhandeln, wenn er sich einer Beurteilung durch dieses Gericht zu entziehen versucht. 3

Die wissenschaftliche Öffentlichkeit kann aber nur dort tätig werden, wo der Vorgang selbst der Öffentlichkeit zugänglich ist. In akademischen Prüfungen ist dies häufig nicht der Fall.

 

Um so wichtiger ist es, dass der Prüfer an sich selbst höchste Ansprüche stellt, seine fachlichen Aussagen korrekt und nachprüfbar sind und er bereit ist, seine Bewertungen zu begründen. Insbesondere impliziert die methodische Objektivität, dass keine außerwissenschaftlichen Kräfte – seien sie ideologischer, machtpolitischer oder sonstiger fachfremder Art - das Ergebnis der Prüfung beeinflussen dürfen und Gegenstand der Prüfung ausschließlich das vorgegebene Thema bzw. die vorgelegte Arbeit ist.

 

Bei dem im Folgenden geschilderten Vorgang sind diese Grundsätze ungewöhnlich schwerwiegend verletzt worden.

 

Zur Begutachtung einer Dissertation4 aus dem Grenzbereich zwischen Mathematik und Informatik wurden vom Fakultätsrat drei Professoren von drei verschiedenen Universitäten aus zwei verschiedenen Ländern benannt. Entsprechend der übereinstimmenden Empfehlung der Gutachter hat der Promotionsausschuss nach Vorliegen der Gutachten die Annahme der Dissertation und ihre Bewertung beschlossen. Gegen diese Empfehlung des Promotionsausschusses wurden zwei Einsprüche von Mitgliedern der Fakultät eingelegt, nämlich von Doz1 und Doz2. Nun ist es schon ungewöhnlich, dass Widerspruch gegen die Annahme einer Dissertation eingelegt wird. Erst recht, wenn drei renommierte Kollegen - in Abwägung von Stärken und Schwächen der Arbeit - diese zur Annahme empfehlen. Dennoch sind Fälle bekannt, in denen auch Gutachter schwerwiegende Mängel übersehen haben. Dass solche vorliegen, will Doz1 wohl suggerieren, wenn er schreibt:

S. 63. Das Lemma 5.19 ist, vorsichtig gesagt, nicht gerade verständlich formuliert und scheint mir außerdem nicht sehr tiefliegend zu sein.

(Findet es sich nicht irgendwo so oder ähnlich in der Literatur?)

 

Leider wird nicht spezifiziert, was denn unverständlich sein soll. Festzuhalten bleibt, dass auch Nicht-Spezialisten Aussage und Beweis gelesen haben und keine Verständnisprobleme hatten. Ob Doz1 sich überhaupt bemüht hat, die Aussage des Lemmas zu verstehen, bleibt offen. Obwohl er jedenfalls schon mit dem Verständnis der Aussage des Lemmas große Probleme hat, - vom mehrseitigen Beweis ganz zu schweigen -, ergeht Doz1 sich in Vermutungen über den wissenschaftlichen Gehalt des Lemmas und suggeriert sogar, dass die Aussage schon anderswo publiziert sei. Derartige Mutmaßungen haben in einer Prüfung nichts zu suchen. Das sind Totschlagargumente, da der Kandidat de facto keine Möglichkeit hat, den Gegenbeweis anzutreten. Dass die Bemerkungen von Doz1 darüber hinaus sogar in sich widersprüchlich sind - wenn das Ergebnis bereits anderswo veröffentlicht wäre, dann wäre es doch offensichtlich auch nach Ansicht anderer Leute interessant und publikationswürdig - scheint ihm ohnehin entgangen zu sein.

 

Welche Motivation mag einen Hochschullehrer zu dem Versuch veranlassen, eine Prüfungsleistung noch nach positiver Beurteilung durch Fachgutachter mit solchen bloßen Mutmaßungen abzuqualifizieren?

 

Welches Destruktionspotential spricht aus solchen Äußerungen?

 

Dass schwerwiegende Mängel vorliegen, will auch Doz2 dem Leser einreden, wenn er schreibt, dass „die Darstellung der mathematischen Grundlagen der Optimierung in einigen Abschnitten mangelhaft ist ...“ Man darf also gespannt sein, welche schwerwiegenden Fehler er ausgemacht hat.

 

Zur Begründung, dass die mathematischen Grundlagen der Optimierung mangelhaft seien, schreibt er:

 

- in Definition 5.3 wird erklärt, wann ein Vektor „gradientenorientiert“ ist. Die Definition ist aber so, dass sie gar nicht von der Orientierung des Vektors abhängt. Es ist eine „falsche Definition“, wie man in der Literatur nachschlägt. Aus der falschen Definition wird eine falsche Schlussfolgerung gezogen.

 

Seiner Ansicht nach handelt es sich also um eine „falsche Definition“.

Nun weiß jeder Wissenschaftler, dass eine Definition nicht falsch sein kann. Eine Definition ist eine Vereinbarung über eine Bezeichnungsweise, die nicht richtig oder falsch sein kann, sondern eine sprachliche Abkürzung für einen komplizierten Sachverhalt darstellt. Lediglich Aussagen können richtig oder falsch sein. Dieses wird den Studenten nicht nur der Mathematik, sondern auch der Ingenieur-/Naturwissenschaften etc. im mathematischen Vorsemester und spätestens noch mal zu Beginn des 1. Semesters klargemacht und von da an als bekannt vorausgesetzt. In ähnlicher Weise ist auch die Abkürzung „BRD“ für Bundesrepublik Deutschland nicht richtig oder falsch, sondern eine Vereinbarungssache bzw. eine Festlegung des Gesetzgebers. Schon in dieser Hinsicht stellt der Anwurf eine schwerwiegende Verletzung der methodischen Grundlagen des Faches dar.

 

Natürlich kann es trotzdem gute Gründe geben, eine Definition zu kritisieren: z. B. wenn sie im Widerspruch zu anderen üblicherweise benutzten Definitionen steht und deshalb Verwirrung stiften könnte oder wenn Dinge inhaltlich zusammengefasst werden, die in dieser Zusammenfassung den Erkenntnisgewinn erschweren. Tatsächlich zeigen die in der Dissertation hergeleiteten bzw. zitierten Resultate jedoch, dass die Definition ausgesprochen nützlich ist und ein gutes Hilfsmittel, um die Konvergenz bestimmter Optimierungsverfahren zu untersuchen.

 

Schon der erste Satz zeigt, dass Doz2 die Definition gar nicht verstanden hat: Gradientenorientiertheit ist nämlich keine Eigenschaft eines Vektors, sondern die Eigenschaft einer Folge von Vektoren. Es geht darum, dass die Abstiegsrichtungen eines Optimierungsverfahrens nicht nur jede für sich einen Winkel von weniger als 90o mit der negativen Gradientenrichtung haben, sondern dass diese Eigenschaft auch noch im Limes gilt, der Winkel also sogar gleichmäßig von 90o wegbeschränkt ist. Die vom Promovenden hierzu angegebene und von Doz2 angegriffene Definition und eine direkte Schlussfolgerung lauten wie folgt:

Definition 5.3: Für eine Funktion $ f$ sei $\left\{d^{\left(k\right)} \right\}$ eine Folge von Abstiegsrichtungen.

Die Folge $\left\{d^{\left(k\right)} \right\}$ heißt gradientenorientiert, falls ein $\tau >0$ existiert, so dass für

alle $k\in {\rm I} {\rm N} $ $$\left|{\nabla f\left(x^{\left(k\right)} \right)^{T} d^{\left(k\right)}} \right|{\rm \; \; }>{\rm \; \; }\tau {\rm \; }\cdot {\rm \; }\left\| \nabla f\left(x^{\left(k\right)} \right)\right\| {\rm \; }\cdot {\rm \; }\left\| d^{\left(k\right)} \right\| $$ gilt.

 

 

Die Gradientenorientiertheit der Folge $\left\{d^{\left(k\right)} \right\}$ sichert somit, dass der Winkel zwischen $-\nabla f\left(x^{\left(k\right)} \right){\rm \; und\; }d^{\left(k\right)} $ gleichmäßig kleiner als der rechte Winkel ist.

Es ist also offensichtlich, dass Gradientenorientiertheit eine Eigenschaft einer Folge von Abstiegsrichtungen und nicht wie von Doz2 behauptet eine Eigenschaft eines einzelnen Vektors ist. Mit der Bemerkung, dass die Definition nicht von der Orientierung des Vektors abhänge, soll dem fachlich nicht kundigen Leser ein Mangel oder Fehler suggeriert werden. Tatsächlich ist es Schulstoff, dass das Vorzeichen des Vektors $d^{\left(k\right)} $ den Wert des Absolutbetrages ${\rm \; }\left|{\rm \; }\cdot {\rm \; }\right|$ nicht beeinflusst, weil bekanntlich der Betrag einer reellen Zahl nicht vom Vorzeichen dieser Zahl abhängt. Die Unterstellung, dass hier ein Mangel vorliege, ist unsinnig, vielmehr liegt es in der Absicht der Definition, so vorzugehen. Dass im Übrigen auch an dieser Stelle noch einmal deutlich wird, dass Doz2 Gradientenorientiertheit für eine Eigenschaft eines einzelnen Vektors hält, zeigt zum wiederholten Male, dass die Definition auch ihrem Sinn nach nicht erfasst wurde.

 

Weiterhin verweist Doz2 auf die Literatur, bedauerlicherweise ohne diese konkret anzugeben. Wieder soll dem gutgläubigen Leser der Eindruck vermittelt werden, es liege ein Mangel vor, ohne dass dieser spezifiziert oder begründet würde. Falls mit dem auch sprachlich verunglückten Halbsatz „... wie man in der Literatur nachschlägt.“ angedeutet werden soll, dass die in der Dissertation gegebene Definition unpraktisch sei oder im Widerspruch zu anderen Definitionen des gleichen Begriffes aus der Literatur stehe, ist dieser Vorwurf ebenfalls unberechtigt: Doz2 kennt offensichtlich auch die Definitionen des Begriffes Gradientenorientiertheit bzw. Gradientenähnlichkeit aus der Literatur nicht. Als Beispiel sei aus dem Buch von J. Werner 5 Numerische Mathematik 2, S. 170 - ein einführendes Lehrbuch über Numerische Mathematik für Studenten des 4. Semesters - die dort gegebene entsprechende Definition wiedergegeben:

 

Eine Folge von Abstiegsrichtungen $\left\{p_{k} \right\}$ wird gradientenähnlich genannt, wenn die erste Voraussetzung in Satz 2.5 erfüllt ist, wenn es also eine Konstante $\sigma >0$ mit $$ - \frac{g_{k}^{T} p_{k}^{} }{\left\| g_{k} \right\| _{2} \left\| p_{k} \right\| _{2} } \ge \sigma ,{\rm \; \; \; \; }k=0,1,...$$ gibt. Diese Voraussetzung besagt, dass der Winkel zwischen $-g_{k} {\rm \; und\; }p_{k} $ gleichmäßig kleiner als der rechte Winkel sein muss.

 

Hier bezeichnet $p_{k} $ die Abstiegsrichtung entsprechend $d^{\left(k\right)} $ in der Dissertation und $g_{k} $ den Gradienten entsprechend $\nabla f\left(x^{\left(k\right)} \right)$ in der Dissertation. Da $p_{k} $ eine Abstiegsrichtung ist, ist das Skalarprodukt von Gradient und Abstiegsrichtung negativ. Durch das zusätzliche negative Vorzeichen wird der Ausdruck links des Ungleichheitszeichens insgesamt also positiv und ist damit mit seinem Betrag identisch. Die beiden Definitionen des Promovenden und von Werner sind damit inhaltlich gleichbedeutend. Eine Folge, die im Sinne der Dissertation gradientenorientiert ist, ist im Sinne von Werner gradientenähnlich und umgekehrt. Aus den gleichen Gründen kann in der Definition 5.3 der Dissertation auch $$\left|\nabla f\left(x^{\left(k\right)} \right)\right. ^{T} d^{\left(k\right)} \left. \right|$$ durch den Ausdruck $$-\nabla f\left(x^{\left(k\right)} \right)^{T} d^{\left(k\right)}$$ ersetzt werden, wie es in der veröffentlichten Fassung geschehen ist. Dies gilt auch für weitere Bücher aus der einführenden Lehrbuch-Literatur. Erwähnt sei das Buch von Kosmol6, S. 105 („gradienten-orientiert“) und das Buch von Großmann/Terno7, S. 68 („gradientenähnlich“). Alle diese Definitionen aus der Lehrbuch-Literatur für Studenten mittlerer (!) Semester erweisen sich als inhaltlich äquivalent, wenn man die jeweils etwas unterschiedlichen Bezeichnungsweisen berücksichtigt. Die Definition aus der Dissertation ist also nicht nur vollkommen in Ordnung, auch der erweckte Eindruck, dass sie unüblich sei oder im Widerspruch zur gängigen Praxis stehe, ist falsch.

 

Und der Schrecken hat immer noch kein Ende. So behauptet Doz2 im weiteren Verlauf, aus der ‘falschen’ Definition werde eine falsche Schlussfolgerung gezogen. Wieder wird nicht spezifiziert, wieder wird nicht begründet! Die Schlussfolgerung der Promovenden, dass für eine gradientenorientierte Abstiegsfolge der Winkel zwischen negativem Gradienten und Abstiegsrichtung gleichmäßig kleiner als der rechte Winkel ist, ist so trivial und unmittelbar aus der Definition abzulesen, dass es keiner weiteren Begründung bedarf. Eigentlich werden nur der Inhalt und die Zielsetzung der Definition in etwas anderen Worten noch einmal wiederholt. Genau die gleiche Schlussfolgerung findet sich bei Werner im unmittelbaren Anschluss an die Definition (siehe obiges Zitat) und auch in den meisten anderen zitierten Büchern. Die Schlussfolgerung des Promovenden ist also völlig in Ordnung und der Fehler liegt auf Seiten von Doz2.

 

Zur weiteren Begründung, dass die mathematischen Grundlagen der Optimierung falsch dargestellt seien, wird auf Satz 6.8 auf Seite 99 der Dissertation hingewiesen. Es wird der Eindruck erweckt, dass hier ein schwerwiegender, von den Gutachtern nicht bemerkter Fehler vorliege. Tatsächlich wird nur eine Bemerkung der Gutachter aufgegriffen.

 

Es handelt sich auch nicht wie von Doz2 suggeriert um einen schwerwiegenden Fehler. Vielmehr liegt ein Druckfehler vor. Statt „$\mathop{\lim }\limits_{k\to \infty } \nabla f\left(x^{\left(k\right)} \right)$“ sollte es sowohl im Satz wie auch beim Beweis heißen „$\mathop{\lim \inf }\limits_{k\to \infty } \left\| \nabla f\left(x^{\left(k\right)} \right)\right\| _{2} $“. Dass es sich hier lediglich um einen Druckfehler handelt, geht schon daraus hervor, dass das vorangehende Resultat aus der Optimierung (Satz 6.7, S. 99) ebenfalls eine Aussage über den „lim inf“ der Folge macht und der Beweis des Satzes 6.8 sich an dieser Aussage orientiert. Auch macht der Beweis bei Zugrundelegung der druckfehlerbehafteten Formel gar keinen Sinn, so dass der Druckfehler für einen fachkundigen Leser leicht als solcher erkennbar war und in der veröffentlichten Fassung natürlich korrigiert wurde. Nur zwei der Gutachter halten diesen Fehler überhaupt für erwähnenswert und diese werten ihn übereinstimmend als Druckfehler.

 

Die Einlassungen von Doz2 enthalten noch weitere Äußerungen, die von gleicher „Qualität“ sind, jedoch für ihre Darstellung und Wertung mehr Fachkenntnis erfordern und deshalb an dieser Stelle nicht im Einzelnen besprochen werden sollen.

 

Wenden wir uns wieder dem Einspruch von Doz1 zu. Dort heißt es z. B.:

 

Die zentrale Definition 2.6 des zu lösenden Optimierungsproblems ist, milde ausgedrückt, nur schwer zu verstehen. Die verwendeten Abbildungen werden nicht alle beschrieben. Es wird dort ferner $\overline{\Omega }\left(i_{m} ,w\right)=o_{m} $ abgekürzt, aber auch offenbar $\overline{\Omega }\left(i_{m} ,w\right)=o\underline{_{m}}\left(i\underline{_{m}} ,w\right)$ gesetzt!

Wenn von Differenzierbarkeit der vorkommenden Funktion gesprochen wird, scheint nur die auf S. 12 angegebene spezielle Gestalt von om gemeint zu sein.

 

Beginnen wir am Schluss. Vage Vermutungen bezüglich der Differenzierbarkeit sind fehl am Platz, da Voraussetzungen für die Differenzierbarkeit z. B. der Fehlerfunktion $\Gamma _{m} $ in Satz 3.8 genau angegeben („Sigmoid-Aktivierung“) und entsprechende Aussagen bewiesen werden. Natürlich hängen diese unter anderem von der jeweils benutzten Aktivierungsfunktion ab. Dies wird in der Arbeit an vielen Stellen deutlich, z. B. bei der Herleitung der ersten und zweiten Ableitungen der Algorithmen ab S. 20 und ab S. 35 (Kapitel 3 und 4).

Dass $\overline{\Omega }\left(i_{m} ,w\right)=o\underline{_m}\left(i\underline{_{m}} ,w\right)=o_{m}$ gesetzt wird, ist so falsch. Richtig ist, dass $\overline{\Omega }\left(i_{m} ,w\right)=o_m\left(i_{m} ,w\right)=o_{m}$ gesetzt wird. Das braucht auch nicht vermutet zu werden, sondern wird in Definition 2.6 und auf S. 12 als Fußnote 4 ausdrücklich erwähnt, also in unmittelbarem Zusammenhang mit Definition 2.6: Es werden zur besseren Lesbarkeit lediglich die Argumente einer Funktion nicht ständig ausgeschrieben. Dieses Verfahren ist üblich und völlig in Ordnung, wenn darauf - wie in der Fußnote - ausdrücklich hingewiesen wird. Auch ansonsten ist die Definition vollständig und die Gutachter hatten im Übrigen auch keine Probleme, sie zu verstehen und mit ihr umzugehen. Es sei nur am Rande bemerkt, dass es hier um die grundlegende Beschreibung des Problems geht, mit dem sich die vorlegte Dissertation im Folgenden nahezu ausschließlich befasst.

Ist dem Schreiber jetzt die Bedeutung der Kompaktheit der Niveaumenge $S_{f} \left(\overline{x}\right)$ klar?
Sie wird nirgendwo erwähnt. In Satz 6.8 fehlt nach wie vor $\overline{x}=x^{\left(o\right)}$

Die Behauptung, die Kompaktheit der Niveaumenge werde nirgendwo erwähnt, ist falsch.
Die Kompaktheit der Niveaumenge wird sehr wohl erwähnt, so in Satz 6.7, wo es heißt: „... besitze eine kompakte Niveaumenge $S_{f} \left(\overline{x}\right)$“ Gleiches gilt für die Definition des Startpunktes x(0) , die ebenfalls explizit in der Definition des Verfahrens (z.B. Satz 6.4 und Satz 6.7) erfolgt. Auf die Definition des Verfahrens wird in Satz 6.8 sogar ausdrücklich hingewiesen. Die Behauptung, der Startpunkt x(0) werde nicht erwähnt, ist also ebenfalls falsch.

 

S. 48: Es wird die ‘Realisierbarkeit’ der Armijoschrittweiten diskutiert.

Vermutlich ist hier ihre Existenz gemeint.

 

Der Begriff „Realisierbarkeit eines Verfahrens“ ist ein umgangssprachlicher Begriff, der häufig in der Numerischen Mathematik, aber auch in der Optimierung und anderen Gebieten verwendet wird. In dem bereits zitierten einführenden Lehrbuch von Kosmol heißt auf S. 91 sogar eine Kapitelüberschrift „4.3 Realisierbarkeit der Schrittweitenregeln“. Darf ein Doktorand grundlegende Bezeichnungen aus der einführenden Lehrbuchliteratur nicht verwenden?

 

S. 107: Zum Newton-Verfahren wird bemerkt, dass „durch das Verfahren eine Folge $\left\{x^{\left(k\right)} \right\}$ konstruiert wird, die für einen beliebigen Startpunkt ... konvergiert.“

 

Auch hier wird nicht konkretisiert, was denn fehlerhaft sein soll. In der von Doz1 dargestellten Form ist die Aussage in der Tat falsch, weil das Newton-Verfahren in der vom Promovenden diskutierten Form nur lokal konvergent ist. Dieser Fehler findet sich jedoch gar nicht in der Arbeit selbst, wo es völlig korrekt heißt: „..., die für einen beliebigen Startpunkt aus dieser Umgebung superlinear gegen diesen kritischen Punkt konvergiert (WERNER, 1992, S. 192).“ Der angebliche Fehler findet sich also nicht in der Arbeit des Kandidaten, sondern wird durch ein verkürztes und dadurch fehlerhaftes Zitat von Doz1 erst künstlich erzeugt.

In diesem Stil geht es weiter. Gutachter werden falsch zitiert. Gleich serienweise werden Zitate aus der Arbeit gebracht und der Eindruck erweckt, dass diese fehlerhaft seien, ohne dass überhaupt nur spezifiziert, geschweige denn begründet würde, was dort angeblich nicht stimmen soll. Schließlich wird noch auf fast einer ganzen Seite Kritik an einer früheren Version der Arbeit geübt. Diese Kritik musste für das hier zur Diskussion stehende Promotionsverfahren schon deshalb belanglos bleiben, weil lt. Promotionsordnung die vorgelegte Arbeit zu bewerten ist und nicht andere Fassungen, in welchem Zusammenhang auch immer diese entstanden sein mögen.

 

Angesichts der heftigen Kritik wird man erwarten, dass diese bei der mündlichen Verteidigung der Arbeit eingebracht wurde und eine große Rolle gespielt hat. Überrascht es wirklich, dass keiner der hier besprochenen angeblich so schwerwiegenden Mängel von den Widerspruchsführern in der öffentlichen Disputation vorgebracht wurde? Gleichwohl lässt es tief blicken.

 

Es bleibt noch anzumerken, dass sowohl Doz1 als auch Doz2 in Kenntnis der Kritik an ihren Einsprüchen diese bis zum Abschluss des Verfahrens - immerhin noch fast ein Jahr nach Vorlage ihrer Einsprüche - weder teilweise noch ganz korrigiert oder zurückgezogen haben. Was immer ihre Motive oder Absichten gewesen sein mögen, der bequemere Ausweg, dass es sich um ein Versehen, eine punktuelle Unaufmerksamkeit gehandelt habe, bleibt verschlossen.

 

Wir haben uns in obiger Darstellung im Wesentlichen auf die Beschreibung von Fehlern beschränkt, die nach der Methode des Faches Mathematik selbst als solche erkennbar sind.

 

Die Frage nach Motiven und Absichten geht über diesen fachlichen Rahmen hinaus:

 

 

Im allgemeinen ist es schwer zu leugnen, dass man eine bestimmte Tat begangen hat oder dass diese Tat begangen worden ist. Dagegen ist es unglaublich leicht, die Motivierungen zu verfälschen, die uns zu einer bestimmten Handlungsweise veranlasst haben, und die Leidenschaften in uns, die diese Handlungsweise begleitet haben.“8

 



1 Peter Eschberg, Intendant des Schauspiels Frankfurt, auf eine entsprechende Frage, „Der Fragebogen“, Forschung und Lehre 7/99, S. 392 (1999)

2 Hans Mohr: Naturwissenschaft und Ideologie. Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, B 15/92, Seite 10 (1992).

3 Stephan Hall: Baltimore resigns at Rockefeller, Science 254, S. 1447 (1991); aber auch: Kevles, Daniel: The Baltimore Case. Norton, New York (1998)

4 Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes sah sich der Verfasser dieser Zeilen genötigt, Namen und andere persönliche Angaben im Folgenden nicht zu nennen bzw. durch Kürzel zu ersetzen. Als Wissenschaftler widerstrebt ihm dies, weil er es gewohnt ist, Argumente für Dritte eigenständig nachvollziehbar darzulegen. Selbstverständlich ist er bereit, alle Namen und Zitate vollständig zu belegen, wenn rechtliche Bedenken ausgeräumt sind und sich z.B. die Betroffenen damit einverstanden erklären. Funktionsbezeichnungen werden der Einfachheit halber in der männlichen Form benutzt.

5 Jochen Werner: Numerische Mathematik 2. Friedr. Vieweg & Sohn Verlagsgesellschaft mbH

6 Peter Kosmol: Methoden zur numerischen Behandlung nichtlinearer Gleichungen und Optimierungsaufgaben. Teubner, Stuttgart 1992

7 Christian Großmann, Johannes Terno: Numerik der Optimierung. Teubner, Stuttgart 1993

8 Primo Levi: Die Untergegangenen und die Geretteten. Carl Hanser, München 2002


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